Filmmakers Academy: Olivia Frey und Tatjana Honegger im Interview

Die Story-Laborantinnen Olivia Frey und Tatjana Honegger haben dieses Jahr an der Locarno Filmmakers Academy teilgenommen: Das zehntägige Programm am Locarno Film Festival richtet sich an junge Filmschaffende. Was haben die beiden dort gelernt, was war überraschend? Olivia und Tatjana lassen die Academy Revue passieren.

Mit welchen Erwartungen seid ihr in die Academy gegangen?

Olivia Frey (OF): Ich habe mich auf zehn sowohl sozial als auch professionell sehr intensive Tage eingestellt. Ich habe mich vor allem gefreut, war aber auch ein bisschen aufgeregt…

Tatjana Honegger (TH): Ich glaube, ich bin nicht wirklich mit Erwartungen in die Academy gegangen. Es war eher eine Neugier – auf die anderen Teilnehmer*innen, ihre Filme, aber auch auf die unscheinbaren Dinge: ihren Alltag, ihre Routinen, ihre Erfahrungen. Ich wollte offen bleiben und die zehn Tage mich formen lassen, statt umgekehrt.

Wie sahen die zehn Tage aus, wie lief das Programm ab?

OF: Die ersten Tage waren extrem intensiv. Relativ früh morgens beginnt die erste Masterclass und der Tag ist vollgepackt mit Screenings und Masterclasses, dazu kommt natürlich das Kennenlernen der anderen Teilnehmenden, und man geht erst spät ins Bett. Nach ein paar Tagen wurden es ein bisschen weniger Programmpunkte und so hatten wir auch mal Zeit, zusammen baden zu gehen oder sonst was zu unternehmen. Stefano und Mosè, die sich um die Teilnehmenden kümmern, lag sehr viel daran, dass es für alle stimmt, sie haben einen wunderbaren Rahmen für Begegnungen geschaffen – sowohl mit Grössen aus der internationalen Filmwelt, als auch zwischenmenschlich innerhalb der Gruppe.

TH: Jeder Tag brachte etwas anderes mit sich. Im Mittelpunkt standen die Masterclasses – mit Schauspieler*innen, Filmschaffenden oder Drehbuchautor*innen – in einem intimen Rahmen, der viel Raum für Fragen und offenen Dialog liess. Die übrige Zeit verbrachten wir im ständigen Austausch miteinander: Wir sahen Filme, teilten unsere eigenen Projekte und kamen mit den anderen Festivalbesucherinnen ins Gespräch.

Welche Rolle spielt ein Format wie die Academy in der Weiterentwicklung von Filmschaffenden, ob am Anfang oder mitten in der Karriere?

OF: Das Tollste war für mich, dass ich eine ganze Gruppe anderer Filmschaffenden kennengelernt habe, von denen die meisten schon ein bisschen weiter, aber dennoch an einem recht ähnlichen Punkt in ihrer Karriere sind. Es findet ein Austausch auf Augenhöhe statt, der dadurch, dass so viele verschiedene kulturelle Hintergründe und Herangehensweisen ans Filmschaffen aufeinandertreffen, sehr divers ist. Es erweitert den eigenen Horizont und hat mir viel Klarheit gegeben bei Fragen zu meinem aktuellen Projekt.

TH: Ein Format wie die Academy ermöglicht es Filmschaffenden, aus der Bubble ihrer eigenen Projekte auszubrechen und einen Moment innezuhalten und zu reflektieren. Gleichzeitig schafft es Raum für echten Austausch – nicht nur unter uns Filmemacher*innen, sondern auch mit den Critics- und Industry-Teilnehmenden. Oft wirken diese Welten weit entfernt von unserem alltäglichen Schaffen, doch die gemeinsamen zehn Tage haben sie näher gebracht und Teil desselben Gesprächs gemacht. Es war eine kollektive Erfahrung, aus der ich viel Inspiration und Motivation mitnehme.

Gab es während der Academy einen Moment, in dem du deine eigene Arbeit und deinen kreativen Ansatz neu hinterfragt hast?

OF: Hm, den kreativen Ansatz nicht unbedingt, aber vielleicht den zeitlichen Rahmen, in dem ich mein Projekt umsetzen wollte. Die im Zuge der Academy veranstalteten Screenings waren sehr eindrücklich. Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal so viele so gute Kurzfilme in so kurzer Zeit gesehen zu haben. Die Sorgfalt und Leidenschaft, die in jedem dieser Filme steckt, hat mich tief beeindruckt. Besonders die Präzision der Filme, und wie lange die jeweiligen Produktionswege dahinter waren, haben mich meinen eigenen Zeitplan nochmal überdenken lassen.

TH: Während der Academy gab es mehrere Momente, in denen ich über meine eigene Arbeit reflektierte, besonders über das Projekt, das ich gerade entwickle. Ein Kurzfilm einer anderen Teilnehmerin hat sich mir besonders eingeprägt. Die verspielte Herangehensweise an Erzählung und Struktur hat mir neue Perspektiven eröffnet und viel Inspiration gegeben, die ich nun in die Schreibphase meines aktuellen Projekts mitnehme.

Hat die Academy deinen Blick auf die Filmbranche verändert?

OF: Der Austausch mit den anderen Teilnehmenden, die ja aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt kamen, war sehr wichtig. Wir haben alle viel voneinander lernen können: Manche haben mehr Erfahrungen mit höherem Budget zu drehen, während andere viel wissen über Programme, die ähnlich sind wie die Filmmakers Academy. Ich muss die Eindrücke und das Gelernte erst noch verarbeiten, aber es war viel, in jeglicher Hinsicht.

TH: Die internationale Ausrichtung der Academy war für mich besonders spannend. Es war beeindruckend zu sehen, wie Filmemacher*innen in Regionen mit weniger Unterstützung und einer kleineren Industrie arbeiten. Das hat mir einen breiteren Blick darauf eröffnet, was im Filmemachen jenseits der bekannten Systeme möglich ist, und mich gleichzeitig dazu gebracht, die Struktur der Branche – ihre Regeln, Hierarchien und Annahmen – zu hinterfragen.

Wie hast du den Austausch mit den anderen Filmemacher*innen erlebt?

OF: Es war wundervoll. Es war toll, zehn Tage lang mit einer Gruppe so talentierter Filmemacher*innen unterwegs zu sein, gemeinsam Filme zu schauen und Masterclasses zu besuchen, aber ganz besonders bereichernd war der persönliche Austausch. Man wächst als Gruppe und mit überraschend vielen einzelnen Personen schnell zusammen, weil man so viel zusammen erlebt. So wird auch der Austausch über aktuelle Projekte und das jeweilige Schaffen sehr tiefgründig.

TH: Der Austausch mit den anderen Filmemacher*innen drehte sich darum, sich gegenseitig kennenzulernen und voneinander zu lernen. Unsere Filme waren sehr unterschiedlich – manche eher narrative-driven, andere experimentell – und trotzdem haben wir schnell überlegt, wie wir uns gegenseitig unterstützen können. Zum Beispiel plane ich, meinen nächsten Drehbuchentwurf mit dem teilnehmenden Filmemacher aus Thailand zu besprechen und vielleicht nach Albanien zu gehen, um am ersten Feature eines anderen mitzuwirken, während dieser wiederum plant, beim Dreh eines weiteren Teilnehmenden aus dem Irak dabei zu sein. Es gab eine echte Offenheit und Respekt für die Arbeiten und Ideen der anderen sowie einen starken Wunsch nach Zusammenarbeit und Gemeinschaft. 

Was hast du an der Academy gelernt, was nimmst du mit?

OF: Ich nehme vor allem viele tolle Bekannt- und Freundschaften mit. Beim letzten gemeinsamen Frühstück haben wir uns versprochen, uns alle paar Monate mit der ganzen Gruppe über Zoom zu treffen, um uns bei der Entwicklung unserer Projekte zu unterstützen. Mal sehen, ob es klappt… Sicher ist aber, dass die eine oder andere Freundschaft bleiben und wachsen wird und dass dies sicher auch fürs Filmschaffen sehr bereichernd sein wird.  

TH: Ein Gedanke, der mir besonders aus der Masterclass mit Miguel Gomes geblieben ist, lautet: „Cinema can give you back your innocence.“ Für mich fasst das gut zusammen, was mir die Academy geboten hat: Durch die Masterclasses, Screenings und den ständigen Austausch mit anderen Filmemacher*innen entstand ein Raum, um Filmmaking mit Neugier und Offenheit anzugehen. Ich verlasse die Academy mit neuer Inspiration und Energie und hoffe, diese in meine zukünftigen Projekte mitnehmen zu können.