Juryblick: Aslı Özarslan und Nicole Borgeat im Interview

Aslı Özarslan und Nicole Borgeat sind dieses Jahr neu zur Story-Lab-Jury gestossen: Im Interview geben sie Einblicke in ihre erste Jurysitzung.

Wie habt ihr eure erste Jurysitzung erlebt?

Nicole Borgeat (NB): Ich muss zugeben, dass ich eine gewisse Angst hatte, denn in einer Jury zu sitzen, bedeutet in meinen Augen eine grosse Verantwortung. Ich selbst reiche jedes Jahr viele Projekte bei Kommissionen ein und weiss, dass es nie leicht ist, eine Ablehnung zu akzeptieren. Ich schätzte die Qualität des Zuhörens unter den Jurymitgliedern – wir sind sehr unterschiedlich – und die Tatsache, dass jeder zu bestimmten Zeiten seine Position durch das Zuhören der anderen weiterentwickeln konnte. Mir ist auch aufgefallen, dass auf Vielfalt und Inklusion geachtet wurde – eine Anforderung, die ich noch nirgendwo sonst so deutlich gesehen habe.

Aslı Özarslan (AÖ): Herausfordernd, weil es viele Projekte waren, die gelesen und bewertet werden mussten. Insbesondere dann, wenn ich mich zwischen zwei guten Projekten entscheiden musste. Das hat mich auf die Frage zurückgeworfen: Was braucht für mich ein guter Film? Und finde ich das in der Beschreibung des Projekts? Ich konnte und musste mich hierbei auf den mir vorliegenden Text verlassen, was nicht immer einfach war. Gut fand ich, dass die Projekte anonymisiert wurden und wir dadurch nicht beeinflusst wurden. Das kannte ich in der Form noch nicht, merkte aber, dass es hilfreich ist.  

Was ist euch an den ausgewählten Projekten aufgefallen?  

AÖ: Mich hat es beeindruckt, wenn ich das Herzblut in dem Projekt spürte. Dass die Menschen, die es verwirklichen wollten, es auch dann verwirklichen würden, wenn sie keine Förderung bekommen hätten. Diese Projekte wollte ich wiederum mit unserer Förderung verwirklicht sehen. Bei anderen Projekten habe ich das wiederum nicht gespürt. Das ist natürlich ein subjektiver Eindruck und muss nichts heißen, aber auf irgendetwas musste ich mich verlassen, und das war meine Intuition. Ich musste immer wieder abstrahieren können, auch wenn der Text mal weniger gut geschrieben war.

NB: ENTHOUSIASMANTS!!! Ich möchte wirklich, dass diese einzigartigen Projekte sich entwickeln können, und ich freue mich schon darauf, sie auf der Leinwand zu sehen.  

Welche Perspektiven bringt ihr in die Jury ein?

NB: Ich bin Drehbuchautorin und Regisseurin und habe daher einen stärkeren Blick auf die Erzählung als auf alles andere, denn das ist der Muskel, den ich täglich trainiere. Aber ich funktioniere viel nach Herzenslust, ich wähle die Projekte aus, die ich gerne sehen würde, und die, bei denen ich eine Art Leidenschaft und Notwendigkeit spüre.  

AÖ: Das ist eine schwierige Frage. Da ich Dokumentarfilm- und Spielfilm-Regisseurin bin, habe ich in beide Drehweisen Einblick erhalten und kann in dieser Hinsicht bestimmte Ideen eventuell gut nachvollziehen oder auch einordnen. Ich habe aber auch viel von den Autor*innen, die eingereicht haben gelernt.  

War es schwierig, die Projekte anonym zu bewerten?

NB: Ich war zunächst gegen die Idee einer anonymen Bewertung, weil ich davon überzeugt war, dass kein Projekt an sich existiert, unabhängig von der*dem Autor*in, die*der es trägt. Aber als ich mich dem Story Lab anschloss und selbst Projekte auf diese Weise bewertete, änderte ich meine Perspektive. Es ist in der Tat sehr angenehm, ein Projekt für das zu beurteilen, was es ist, unbeeinflusst von der bisherigen Laufbahn oder den bisherigen Leistungen. Dadurch erhalten Neulinge die gleiche Chance wie erfahrene Projektträger*innen. Und wenn ein Projekt nicht überzeugt, fühlt man sich nicht von dem Gedanken gequält, dass man aufgrund des Lebenslaufs der Person, die es eingereicht hat, vielleicht etwas übersehen hat. Es ist eine echte Erleichterung, Teil eines Prozesses zu sein, der darauf abzielt, so egalitär wie möglich zu sein.  

AÖ: Es gab vereinzelt Projekte, wo ich gerne ein paar mehr Hintergrundinformationen gewusst hätte. Deswegen an alle Einreichenden: Traut auch reinzuschreiben, falls ihr Filme das erste Mal macht, oder eben ein soziales Projekt anstrebt, in denen Laien drehen sollen usw. Das nur zu vermuten, ist dann bei der Fülle der Bewerbungen zu wenig und hinterlässt Fragen. Sonst fand ich die Anonymisierung sehr gut!  

Gab es etwas, das dich überrascht hat?

NB: Ich war beeindruckt von der Freundlichkeit und dem Engagement des Story-Lab-Teams, das bei den Beratungen anwesend ist, ohne sich in die Entscheidungen einzumischen. Sie haben eine echte Liebe zum kreativen Schaffen und einen wahren Respekt für die Autor*innen.  

AÖ: Ich finde es immer wieder überraschend, wie manche Projekte alle einstimmig förderungswürdig halten und bei anderen wir komplett gegenseitige Meinungen haben. Die Gespräche unter den Jury-Mitgliedern waren immer auf Augenhöhe, alle haben immer für «ihre» Projekte gekämpft. Und das hat Spass gemacht.