«Chancen und Risiken der neuen Streaming-Plattformen für den Independent-Filmbereich» Masterclass mit Ted Hope und Nicolas Steiner

Samstag, 10. August 2024, BaseCamp Academy, Locarno

Der US-amerikanische Produzent Ted Hope und der Schweizer Filmemacher Nicolas Steiner teilten im Gespräch mit Marcy Goldberg ihre langjährigen Erfahrungen mit Streaming-Plattformen. Die Story Laborant*innen erfuhren, welche Auswirkungen diese Plattformen auf das Filmgeschäft und insbesondere auf das unabhängige Filmschaffen haben.  

Besonders spannend war die Diskussion durch die unterschiedlichen Perspektiven der beiden Gäste. Ted Hope erklärte, dass das primäre Ziel von globalen Streaming-Plattformen nicht darin bestehe, eine möglichst grosse Auswahl und Vielfalt anzubieten, wie zunächst angenommen, sondern sicherzustellen, dass die Zuschauer*innen immer wieder ähnliche Inhalte konsumierten. Die globalen Inhalte würden folglich immer ähnlicher, was zu einer Verringerung der Unterscheidung zwischen Gebieten und Kulturen und damit zu einem Verlust an Menschlichkeit und Empathie führt. Hope äusserte die Befürchtung, dass dies auch zu einer verminderten Fähigkeit führen könnte, neue Denkweisen zu erfahren. Streaming-Plattformen seien eine riesige Chance, jedoch stehe das Geschäftsmodell im Widerspruch zur Kunst und zu ästhetischem Ehrgeiz sowie der Bereitschaft, die «Wahrheit zur Macht» zu sagen. Wenn es darum gehe, den Marktanteil zu vergrössern, sei der Rückgang der Qualität unvermeidlich. Das Publikum sei zwar sehr vielfältig, dies aber nicht, um die Diversität zu feiern. Das Geschäftsmodell der globalen Streaming-Plattformen besteht in der Gewinnung von Zuschauer*innen, und obwohl das Publikum sehr vielfältig ist, geht es nicht darum, die Vielfalt zu zelebrieren, sondern um das Gegenteil: eine «Gleichheit» in der Welt zu schaffen.    

Nicolas Steiner betonte, dass es durchaus auch kleinere VoD-Plattformen gebe, die kuratierte Inhalte anböten und alternative Strukturen hätten. Hier gelte es, je nach Geschichte, die man erzählen möchte – und wie sie erzählt wird –, zu unterscheiden. Den jungen Filmschaffenden rät Ted Hope jedoch, ihre Filme nicht über grosse VoD-Plattformen zu verbreiten, sondern direkt dem Publikum zu zeigen, um eine langfristige Zuschauer*innen-Basis aufzubauen. Hope erläuterte, dass diese Plattformen die Einnahmen für andere Vertriebsformen kannibalisieren, die diese Art von Publikumsaufbau ermöglichen. Zudem seien laut Nicolas Steiner, der für Netflix die True-Crime-Serie «Dig Deeper» realisiert hat, manchmal die Buyouts nicht hoch genug. Hier gelte es, zusätzlich im Rahmen der «Lex Netflix» über Residuals zu sprechen, damit (Schweizer) Filmemacher*innen eine Urheberrechtsentschädigung erhalten, sobald ihr Film gestreamt wird, und angemessen entschädigt werden, wenn ihr Film / ihre Serie Erfolg hat und viele Zuschauer*innen anzieht. Also eine Urheberrechtsentschädigung wie auch eine Erfolgsbeteiligung.   

«Was ich bei einem Streaming-Start im Vergleich zu einem Kinostart vermisste, ist die unmittelbare Reaktion des Publikums. Diese Energie, die ich von meinem letzten Kinofilm erhielt, trägt mich bis heute und hilft mir für die kommenden Projekte», so Steiner. Die Netflix-Serie sei eine gute Erfahrung gewesen, doch die Interaktion mit den Menschen und somit auch diese Energie fehle ihm. Sein Appell an junge Filmschaffende lautet daher: «Geht raus und kämpft für die Geschichten, die ihr sehen oder erschaffen wollt.»  

Impressionen